Tausende protestieren in Wien gegen "Festung Europa"
Am vergangenen Wochenende haben sich die Fronten zur Flüchtlingsthematik weiter verhärtet. Während am Samstag viele Menschen für eine Lockerung der aktuellen Asylpolitik in Wien demonstrierten, sprach die Innenministerin Johanna Mikl-Leitner tags darauf öffentlich von einer "Festung Europa", die es zu verteidigen gelte.
Rund um den Globus gingen am Samstag, den 19. März, Befürworter*innen einer humanitären Asylpolitik auf die Straße und sprachen sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus. Unter dem Hashtag #M19 wurde schon vorab auf die Protestaktion aufmerksam gemacht. In Wien wurde die Demonstration von der organisationsübergreifenden "Plattform für eine menschliche Asylpolitik" organisiert, die schon im vergangenen Oktober zu einem gemeinsamen Protest in der Hauptstadt aufgerufen hatte.
Gegen 13.00 Uhr versammelten sich beteiligte NGOs, Initiativen, politische Organisationen, eine Vielzahl privater Unterstützer*innen und einige Asylwerber*innen vor der Wiener Karlskirche, wo eine erste Kundgebung stattfand. Neben der sofortigen Grenzöffnung forderten die Sprecher und Sprecherinnen unter anderem auch die schnellere Zulassung Geflüchteter zum Arbeitsmarkt, die Auflockerung des Bleiberechts, des "Schlepperparagraphs" und der Gesetze zum Familiennachzug. Von mehreren Sprecherinnen wurde angeprangert, dass bislang keine Rücksicht auf geschlechtsspezifische Fluchtursachen genommen werden würde, wie etwa Zwangsverheiratung oder die Verfolgung von Transgender-Personen. Und auch der Rücktritt der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, "die jeder guten Lösung im Wege stehe", wurde immer wieder gefordert.
"Teufelspakt" mit der Türkei
Der Flüchtlingsberater und Obmann von Asyl in Not, Michael Genner, fand für die aktuellen Vorgehensweisen der österreichischen Regierung und der Europäischen Union scharfe Worte der Kritik. Denn das neue Abkommen mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der nun die "Drecksarbeit" für die EU mache und dabei sein eigenes Volk bombadiere, sei ein "Teufelspakt":
"Man muss sich vorstellen, was da geplant ist, die vielen zehntausenden Menschen, die jetzt zwischen dem Meer und dem neuen "Eisernen Vorhang" warten und hoffen durchzukommen. Sie alle sollen jetzt abgeschoben werden in die Türkei, die die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit Vorbehalten ratifiziert hat, nämlich stellt euch vor, nur für Flüchtlinge aus Europa (...). Und er hat angekündigt, die syrischen Flüchtlinge in Lager zu sperren und alle anderen abzuschieben in die Verfolgerländer (...). Das ist der Pakt der EU mit Herrn Erdoğan, dagegen stehen wir überall in Europa auf: Erdoğan muss weg, Orban muss weg und diese [österreichische] Regierung des Verfassungsbruchs muss weg, damit das Menschenrecht gelten kann." Michael Genner, Flüchtlingsberater und Obmann von Asyl in Not
"Man muss sich vorstellen, was da geplant ist, die vielen zehntausenden Menschen, die jetzt zwischen dem Meer und dem neuen "Eisernen Vorhang" warten und hoffen durchzukommen. Sie alle sollen jetzt abgeschoben werden in die Türkei, die die Genfer Flüchtlingskonvention nur mit Vorbehalten ratifiziert hat, nämlich stellt euch vor, nur für Flüchtlinge aus Europa (...). Und er hat angekündigt, die syrischen Flüchtlinge in Lager zu sperren und alle anderen abzuschieben in die Verfolgerländer (...). Das ist der Pakt der EU mit Herrn Erdoğan, dagegen stehen wir überall in Europa auf: Erdoğan muss weg, Orban muss weg und diese [österreichische] Regierung des Verfassungsbruchs muss weg, damit das Menschenrecht gelten kann." Michael Genner, Flüchtlingsberater und Obmann von Asyl in Not
Schlauchboote als Protestsymbol
Die veröffentlichten Zahlen zu den am Samstag Mitmarschierenden variieren stark. Während die Organisator*innen von bis zu 16.000 Menschen sprachen, kamen laut Angaben der Polizei gerade einmal 2.500 Personen zur Demonstration. Wie viele es auch gewesen sein mögen, die Unterstützer*innen zeigten klar, dass sie nicht hinter der Asylpolitik der österreichischen Bundesregierung und der Europäischen Union stehen. Das fortwährende Massensterben an Europas Außengrenzen wurde symbolisch nach Wien verlagert, in dem Schlauchboote vor dem Parlamentsgebäude und später auch vor dem Haus der Europäischen Union aufgetürmt wurden. Die Boote wurden während des gesamten Protests von den Demonstrant*innen getragen.
"Festung Europa" als politisches Programm
Einen Tag nachdem zahlreiche Menschen die Forderung, die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner möge zurücktreten, bejubelt hatten, spricht eben diese davon, die "Festung Europa" nun endgültig abriegeln zu wollen. Bislang stritten die Ministerin und ihre europäischen KollegInnen noch ab, den Kontinent als eine solche Festung zu betrachten. Nun dürfte dieser Plan aber salonfähig geworden sein, denn niemand schien sich weiter an Mikl-Leitners Äußerung zu stoßen, als sie am Sonntag in der ORF-Sendung "Pressestunde" davon sprach, nun die sogenannte "Ost-Balkan-Route", die über die Türkei und Bulgarien ins westliche Europa führe, "dicht machen" zu wollen.
Wer steht hinter der "Plattform für eine menschliche Asylpolitik"?
Vor gut einem Jahr wurde die Plattform als politische Interessenvertretung der beteiligten NGOs, Flüchtlingsinitiativen und politischen Gruppierungen ins Leben gerufen. Unter dem gemeinsamen Slogan "Flüchtlinge willkommen" (beziehungsweise "Refugees welcome"), der weltweit bei Pro-Asyl-Demonstrationen gerufen wird, treten in Österreich insgesamt 138 Organisationen für gemeinsame politische Forderungen auf. Zu den Unterstützern zählen Attac Österreich, Asyl in Not, Flucht nach Vorn, Flüchtlinge Willkommen, KAMA Wien, das Neunerhaus, PROSA – Projekt Schule für Alle!, SOS Mitmensch, Train of Hope, der Verein für Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit ZARA und die Volkshilfe Österreich. Nach der internationalen #M19 Protestaktion am vergangenen Samstag möchte die "Plattform für eine menschliche Asylpolitik" auch künftig auf ihre Forderungen öffentlich aufmerksam machen.