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"chancen:reich" in die neue Arbeitswelt

Bei der ersten Berufsmesse für Menschen mit Fluchthintergrund im Wiener Museumsquartier war der Andrang groß. Neben der Möglichkeit zu direkten Bewerbungsgesprächen überzeugte vor allem das Beratungsangebot.
Um 12 Uhr mittags derselbe Anblick wie schon drei Stunden zuvor: unzählige Interessierte standen bei knapp 30° an, um die Berufsmesse zu besuchen.  © spendeninfo.at / Lisa Hummel
Um 12 Uhr mittags derselbe Anblick wie schon drei Stunden zuvor: unzählige Interessierte standen bei knapp 30° an, um die Berufsmesse zu besuchen. © spendeninfo.at / Lisa Hummel
Kurz nach der Eröffnung am Mittwoch, den 29.06.2016 um neun Uhr morgens, reichte die wartende Menschenschlange vor der Halle E bereits bis zum Haupteingang des Museumsquartiers. Dabei war sogar eine Online-Registrierung notwendig, um die Messe besuchen zu dürfen. Die Arbeitssuchenden erwartete ein großes Angebot: an rund 50 Ständen konnten sie mit Vertreter*innen zahlreicher österreichischer Unternehmen sprechen, Beratung einholen und sich in speziellen Workshops informieren.
v.l.n.r.: Joseph Bitzinger (Vizepräsident der WKO Wien), Gabriele Tatzberger (Wirtschaftsagentur Wien), Stephanie Cox, Petra Draxl (AMS), Leo Widrich © spendeninfo.at / Lisa Hummel
v.l.n.r.: Joseph Bitzinger (Vizepräsident der WKO Wien), Gabriele Tatzberger (Wirtschaftsagentur Wien), Stephanie Cox, Petra Draxl (AMS), Leo Widrich © spendeninfo.at / Lisa Hummel
Bei ihrer kurzen Eröffnungsrede erklärten die Initiator*innen Stephanie Cox (27) und Leo Widrich (25) ihre Motive: sie seien der Ansicht gewesen, "dass der Job eine der besten Möglichkeiten ist, Fuß zu fassen". Stephanie und Leo wollten zur Verbesserung der Arbeitsmarktsmarktsituation für Flüchtlinge beitragen und gründeten erst kürzlich den Verein "Chance Integration", aus dem die Initiative "chancen:reich" und somit die erste Berufsmesse für Geflüchtete hervorging.

Mehr als gutes Marketing?

In nur wenigen Monaten gelang es den Organisator*innen in Kooperation mit dem AMS Wien, 50 Vereine und Unternehmen von ihrer Idee zu überzeugen. Einige Partner, die am Mittwoch ausstellten, hatten schon zuvor auf die schwierigen Umstände am österreichischen Abeitsmarkt reagiert und eigene Programme zur Integration von Arbeitskräften mit Migrations- bzw. Fluchthintergrund erarbeitet.
Sogar das japanische Fernsehen sowie "Orient News" berichteten von der ersten Berufsmesse für Asylberechtigte. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann
Sogar das japanische Fernsehen sowie "Orient News" berichteten von der ersten Berufsmesse für Asylberechtigte. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann
Davon abgesehen gab es für die Teilnahme an der Berufsmesse jedoch keine Richtlinien, die Ausstellende zu erfüllen hatten. Die Firmen und NGOs sind keineswegs daran gebunden, tatsächlich Arbeitsplätze an Geflüchtete zu vergeben. Die Pressesprecherin des Vereins "Chance Integration", Annabella Khom, ist dennoch von der aufrichtigen Absicht der Partner überzeugt:

"Wir versuchen unser Bestes, doch sicherstellen kann man natürlich gar nichts. Aber die Unternehmen versuchen auf jeden Fall hardcore da Jobs zu vergeben und zu vermitteln. (...) 120 Jobinterviews haben wir direkt schon vorab gematcht, also die finden jetzt gerade statt." Annabella Khom, Pressesprecherin von "Chance Integration"

Besonders beliebt: das vielseitige Beratungsangebot

Die Besucher*innen konnten sich bereits vorab einen Termin für ein Bewerbungsgespräch auf der Berufsmesse ausmachen. Für Personen, die sich direkt bei den ausstellenden Unternehmen bewerben wollten, wurde das Mitbringen des Lebenslaufs empfohlen. Wer noch keinen besitzt, hatte die Möglichkeit an einer Schulung mit Inhalten wie CV-Check, Arbeitsrecht oder Kontoeröffnung teilzunehmen. Auch über die Beglaubigung von Dokumenten und die rechtlichen Schritte, um in Österreich eine eigene Firma zu gründen, konnten sich die Besucher*innen informieren.

Mohammad, seit rund eineinhalb Jahren in Österreich, hat noch keinen deutschsprachigen Lebenslauf, doch erst vor zwei Tagen erhielt er ein Jobangebot in der Küche eines Restaurants. Aus Interesse wollte er die "chancen:reich"-Berufsmesse dennoch besuchen, auch um etwa das Beratungsangebot über die Erstellung eines Lebenslaufs und das Führen eines Bewerbungsgesprächs in Anspruch zu nehmen.
Ikea unterstützte kürzlich die Caritas Flüchtlingshilfe mit einer teils zweckgebundenen Spende von 500.000 Euro, zudem kooperiert der Möbelgigant mit Refugeeswork.at. In den sieben Einrichtungshäusern in Österreich werden hauptsächlich Mitarbeiter*innen in der Logistik, im Verkauf und in der Gastronomie gesucht. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann
Ikea unterstützte kürzlich die Caritas Flüchtlingshilfe mit einer teils zweckgebundenen Spende von 500.000 Euro, zudem kooperiert der Möbelgigant mit Refugeeswork.at. In den sieben Einrichtungshäusern in Österreich werden hauptsächlich Mitarbeiter*innen in der Logistik, im Verkauf und in der Gastronomie gesucht. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann

Nachfrage versus Angebot

Auch nach ein paar Stunden ließ der Andrang kaum nach, vor dem Eingang wurde die Schlange kein bisschen kürzer. Doch nicht alle fanden, wonach sie suchten: einerseits, weil es kaum möglich schien, bei der hohen Besucher*innenzahl den Überblick zu bewahren und andererseits, weil einige Branchen gar nicht vertreten waren. Beispielsweise hoffte ein junger Mechaniker vergebens darauf, hier erstmals mit Vertreter*innen seiner Berufsgruppe in Kontakt treten zu können. Die etwas dürftig informierten Mitarbeiter*innen am Informationsstand waren darüber allerdings nicht im Bilde und schickten den jungen Mann im Kreis.

Die Besucher*innen drängten sich um alle Messestände, egal ob es Unternehmen aus der Personalvermittlung, Industrie oder Hottelerie, dem Sozialwesen oder Handel, der Telekommunikation oder den Medien waren. So übergab Hussam einer Ikea-Mitarbeiterin aufgeregt seinen Lebenslauf. Seit 2,5 Jahren ist er bereits in Österreich, beim Sprechen verließ er sich aber doch lieber auf seine Begleiterin, die ihm das Wichtigste ins Arabische übersetzte. Die Ikea-Mitarbeiterin zeigte sich interessiert und fragte nach bisherigen Berufserfahrungen: Momentan arbeitet Hussam als ehrenamtlicher Boxtrainer und Ernährungsberater im Wiener Einkaufszentrum Lugner-City, einen bezahlten Arbeitsplatz hatte er bislang noch nicht bekommen. Sie möchte ihm keine Versprechungen machen, erklärte die freundliche Mitarbeiterin, denn das Interesse sei groß. Doch sie werde seinen Lebenslauf weiterleiten.
In der Halle E und in den dahinterliegenden Hofstallungen des Museumsquartiers haben über 50 heimische Unternehmen, Vernetzungsplattformen und Beratungsstellen ihr Angebot für Asylberechtigte präsentiert. © spendeninfo.at / Lisa Hummel
In der Halle E und in den dahinterliegenden Hofstallungen des Museumsquartiers haben über 50 heimische Unternehmen, Vernetzungsplattformen und Beratungsstellen ihr Angebot für Asylberechtigte präsentiert. © spendeninfo.at / Lisa Hummel

IT-Branche sucht dringend nach internationalen Fachkräften

Die Plattform Refugeeswork.at war am Mittwoch ebenfalls unter den Ausstellenden: erst im vergangenen März portraitierte spendeninfo.at die Initiative, die Asylberechtigte bei der Arbeitssuche unterstützt und an heimische Unternehmen vermittelt, die ihrerseits auf der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften sind:

"Es suchen viele nach Lehrlingen in Mangelberufen, aber momentan sind sicher auch IT-Jobs ein Schwerpunkt. Das geht von Front End Entwicklern (...) über richtige Web-Developer. Also da sieht man schon, dass da sehr viel Potential künftig sein wird, weil auch die sprachlichen Barrieren nicht ganz so groß sind." Dominik Beron, Gründer von Refugeeswork.at
Der Personalvermittler Jobtransfair hatte eine Wäschespinne aufgestellt, an der Stellenangebote für überwiegend Niedriglohnjobs aufgehängt waren. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann
Der Personalvermittler Jobtransfair hatte eine Wäschespinne aufgestellt, an der Stellenangebote für überwiegend Niedriglohnjobs aufgehängt waren. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann
Die aufwendig errichteten Messestände mit ihren Goodies (Swarovski verschenkte Glassteine) vermittelten ein wenig den Eindruck, als hätten die teilnehmenden Firmen zahlreiche Jobs zu vergeben. Ein Blick auf die derzeitige Situation am österreichischen Arbeitsmarkt lässt jedenfalls darauf schließen, dass Geflüchtete mit höheren Abschlüssen – aus Berufsfeldern abseits der IT-Branche – nur eine geringe Chance haben, bald einen Arbeitsplatz zu finden.

Ob das Konzept einer Berufsmesse für arbeitssuchende Geflüchtete aufgehen wird, könnte sich schon bald weisen, denn diese erste Veranstaltung ihrer Art dürfte keinesfalls die letzte gewesen sein: "Graz und Salzburg haben schon fix angefragt. Wir wollen heute mal den Tag hinter uns bringen und schauen, wie es wird, aber es wird auf jeden Fall noch weitere (Messen) geben", erzählt Pressesprecherin Annabella Khom. Das diffamierende Vorurteil, Asylberechtigte würden die sogenannte "soziale Hängematte" auszunutzen, ohne arbeiten zu wollen, wurde an diesem Tag jedenfalls zum wiederholten Male entkräftigt.

Der Verein "Chance Integration"

Hinter der "chancen:reich"-Berufsmesse steckt ein junges Team, das eindrucksvoll bewiesen hat, eine große Idee in kürzester Zeit realisieren zu können: Im Vorjahr arbeiteten Stephanie Cox und Leo Widrich ehrenamtlich in der Flüchtlingsversorgung des Roten Kreuzes mit. Bald fassten sie den Entschluss, selbst ein Unternehmen gründen zu wollen, das in der Flüchtlingshilfe tätig ist. Doch der Bedarf nach einem organisierten Zusammentreffen von arbeitssuchenden, anerkannten Flüchtlingen mit Firmen erschien ihnen wesentlich höher. Erst vor drei Monaten, erzählte Stephanie Cox, hätte daher der Entschluss festgestanden, eine Messe zu organisieren. Sie gründeten den Verein "Chance Integration" und fanden im AMS Wien einen ersten Partner. Das professionelle Team ist in den vergangenen Monaten auf 16 Freiwillige angewachsen, bei der Messe waren 150 Volontäre beschäftigt.