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"Selber schuld, hätten‘s nichts angestellt"

Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe kann häufig den Verlust des sozialen Umfelds bedeuten. Der Verein für Integrationshilfe ist eine wichtige Stütze für jene, die nach der Haftentlassung auf sich alleine gestellt sind: In finanzieller Hinsicht oftmals eine Herausforderung, denn wer spendet schon Geld an einen Verein, der ehemalige Häftlinge betreut?
Er habe die Tat aus einem "wirtschaftlichen Motiv" heraus begangen, beginnt Helmut H. seine Erzählung etwas vage. Der Mittfünfziger sitzt auf einem tiefen, gepolsterten Sessel in der Mitte seines Zimmers, welches er sich mit zwei Mitbewohnern teilt. Auf den ersten Blick macht der kleine Raum einen chaotischen Eindruck, doch auf den zweiten wird klar, dass das vermeintliche Durcheinander seine Ordnung hat. Auch Helmuts Geschichte sorgt anfangs für etwas Verwirrung, die er bereitwillig erzählt, obwohl er nicht recht auszusprechen vermag, weshalb er eine viereinhalbjährige Haftstrafe absitzen musste.

Erst nach und nach setzt sich seine brüchige Erzählung zu einem großen Ganzen zusammen: Vor knapp zehn Jahren geriet der gelernte Maschinenschlosser in ernste finanzielle Schwierigkeiten. Er habe keinen Ausweg mehr gesehen, sein Leben sei zu Ende gewesen, erzählt Helmut. Unvorbereitet und ohne eine Maske zu tragen überfiel er dann in seiner Verzweiflung eine Bank. Die Polizei holte ihn wenig später Zuhause ab. Helmut war schon einige Zeit inhaftiert, als er zu verstehen begann, dass wohl alles anders gekommen wäre, wenn er sich rechtzeitig Hilfe geholt hätte.

Betreutes Wohnen als Präventiv- und Reintegrationsmaßnahme

Die 28 Bewohner eines Hauses in Wien Mariahilf, in dem auch Helmut H. seit zehn Monaten lebt, haben alle etwas gemeinsam: Sie sind aus der Haft entlassen worden und haben niemanden, bei dem sie zeitweilig unterkommen können. Eine Mietwohnung ist für sie nicht leistbar und aufgrund der begangenen Straftat sind manche verschuldet. Obdachlos und oftmals verzweifelt neigen viele dieser Menschen dazu, erneut straffällig zu werden. Und sei es nur, um sich über Wasser zu halten.

Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, gründete 1972 der Wiener Gefangenenseelsorger Monsignore Anton Eder den Verein für Integrationshilfe. War die Wohnraumbeschaffung das erste Ziel, erweiterte der Verein zwei Jahre später sein Angebot um eine Beratungsstelle nahe des Wiener Stephansdoms. 1984 pachtete die Einrichtung drei Stockwerke eines Wohnheims der Österreichischen Jungarbeiterbewegung. Einst als Spital errichtet, wird der Großteil des Gebäudes heute von bis zu 28 Haftentlassenen bewohnt, während in den oberen zwei Geschoßen – durch ein Eisentor abgetrennt – Studierende leben. Zusätzlich verfügt der Verein über sechs "Startwohnungen" für Männer im 10. und 17. Bezirk, sowie zwei reine Frauenwohnungen in Ottakring.

Mit Achtung, Respekt und Würde

Der Verein für Integrationshilfe ist Teil der kategorialen Seelsorge der Erzdiözese Wien, welche für die Beratungsräumlichkeiten in der Blutgasse sowie die Gehälter der zwei hauptamtlichen Sozialarbeiter*innen aufkommt. In der Beratungsstelle findet der erste Kontakt statt: meist von Zuweisern wie der Bewährungshilfe "Neustart" oder der Gefängnisseelsorge hierher geschickt, werden kürzlich Haftentlassene ohne Wohnplatz aufgenommen und Hilfesuchende erfahren, an welche Ämter sie sich wenden sollen. Um langsam den Weg zurück in die Arbeitswelt zu finden, können Klient*innen für 25 Stunden im Monat in einem der Wiener Caritas Lager arbeiten. 51 Prozent ihres "therapeutischen Taschengelds" (sie bekommen 4,80 Euro pro Stunde) werden von den Spendeneinnahmen des Vereins für Integrationshilfe bezahlt.

Die Sozialarbeiterin Liliane Pock und ihr Kollege Wolfgang Püls sind aber nicht bloß in der Blutgasse anzutreffen: Ihre wichtigste Aufgabe sei es, täglich vor Ort in den Wohnunterkünften zu sein und einen engen, persönlichen Kontakt zu pflegen, erzählt Pock.

"Irgendwann hab' ich mir gedacht, das braucht's: heut' bin ich oft täglich da, am Wochenende nicht immer. Wenn sie sehen, es kümmert sich wer, es ist wer da – in keiner anderen Sozialarbeit hab' ich noch so viel an Dankbarkeit erfahren. Achtung, Respekt und Würde: Ich will das auch, ich versuch' das vorzuleben und den Menschen zu geben. Dass ich an der Zimmertür anklopf', dass ich 'Bitte und Danke' sage und 'Grüß Gott, wie geht's?'. Ein freundliches Lächeln, so wie wir es auch alle haben wollen, wurscht wo wir sind oder arbeiten – das ist schon die halbe Miete."
Liliane Pock, Sozialarbeiterin Verein für Integrationshilfe


Aufgrund ihrer Gegenwart, ihrem Vertrauen und ihrer aufrichtigen Wertschätzung lernen Pocks Klient*innen, ihre eigenen, positiven Eigenschaften wieder wahrzunehmen. Gegenseitiger Respekt ist für die 54-Jährige auch hinsichtlich der unterschiedlichen Herkunft der Bewohner*innen die wichtigste Zutat für ein gelungenes Zusammenleben. Zuvor hatte sie mit Kindern, Alten, Menschen mit Behinderung, Suchtkranken und Personen mit Psychose gearbeitet, ehe sie 2011 zum Verein für Integrationshilfe kam.

Zivildienst mit großer Verantwortung

Der Alltag im Wohnheim, das ausschließlich volljährige Männer aufnimmt, wird maßgeblich von Zivildienern gestaltet, die rund um die Uhr zugegen sind. Der Nachtdienst schließt um Mitternacht den Eingang und richtet am Morgen das Frühstück. Um zehn Uhr vormittags und somit am Ende der Nachtschicht, müssen alle Bewohner nach draußen gehen, denn an Werktagen werden die Räumlichkeiten für zwei Stunden geschlossen. So sollen sich die Haftentlassenen an einen routinierten Tagesablauf gewöhnen und langsam wieder Verantwortung übernehmen.

Das Wiedererlernen von Selbstständigkeit ist im Wohnheim generell ein wichtiges Thema: So erhält jeder, der am wöchentlichen Putztag mithilft, bis zu 15 Euro, die ebenfalls über Spendengelder finanziert werden. Kostenlos sind die Wohnunterkünfte des Vereins übrigens nicht: 175 Euro kostet ein Bett im Dreibett- und 230 Euro ein Einzelzimmer. Für Empfänger*innen der Mindestsicherung ist die Miete damit erschwinglich, für Menschen in der Grundversorgung nur schwer.
Liliane Pock mit Zivildiener Adrian.
Adrian ist im letzten Monat seines Zivildiensts. Das Verhältnis zu den Bewohnern schätzt er freundschaftlich ein, auch wenn er eine gewisse "Kontrollfunktion" inne hat. Für Liliane Pock, die hier mit Adrian im Bild ist, sind die Zivildiener eine große Entlastung. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann

Der Weg zurück in die Gesellschaft – ein schwieriges Unterfangen

Ihre Klient*innen, erklärt Liliane Pock, hätten ihre Haftstrafe in allen möglichen Justizanstalten des Landes abgesessen. Und wer eine Straftat im Ausland begangen hat, wird nach der Freilassung häufig nach Österreich ausgeliefert. Für bis zu zwei Jahre können Haftentlassene egal welcher Herkunft im Wohnheim oder in einer der Startwohnungen leben. Suchtkranke müssen sich in Therapie begeben und dürfen in den Räumlichkeiten des Vereins für Integrationshilfe keine Drogen einnehmen oder Alkohol konsumieren.

Weshalb die Klient*innen inhaftiert wurden, spielt für den Verein eine untergeordnete Rolle: Das gemeinsame Ziel ist es, rasch eine eigene Wohnung und eine Beschäftigung zu finden. Doch das ist gar nicht so einfach: Potentielle Vermieter*innen entscheiden sich gegebenenfalls für Mieter*innen mit einem "sauberen" Lebenslauf, bei der Arbeitssuche sieht es nicht anders aus. Und um Anspruch auf eine Gemeindewohnung zu haben, muss man mittlerweile fünf Jahre durchgängig in Wien gemeldet sein. Rund der Hälfte aller Klient*innen gelingt es dennoch, diese Ziele während ihres Aufenthalts zu erreichen, weniger als zehn Prozent werden erneut straffällig und inhaftiert.

Gesucht: Wohnraum und Ehrenamtliche

Mit exakt 50.000 Euro im Jahr wird der Verein für Integrationshilfe vom Bundesministerium für Justiz gefördert. Liliane Pock und Wolfgang Püls, der bereits seit 1986 beim Verein angestellt ist, sind mittlerweile daran gewöhnt, mit diesem Betrag zu "jonglieren". Das Lukrieren von Spenden ist Jahr für Jahr eine große Herausforderung: "Es sei allen vergönnt, jeder braucht die Spenden. Aber wer spendet Haftentlassenen? Da sagt jeder: 'Die sind selber schuld, hätten‘s nichts angestellt'", erklärt Pock die schwierige Situation.

Wenn ihr etwas Zeit bleibt, begibt sich Liliane Pock auf Wohnungssuche. Österreichweit ist der Bedarf an Wohnplätzen für Haftentlassene sehr groß und der Verein für Integrationshilfe möchte sein Angebot dringend ausweiten, doch bislang ohne jeglichen Erfolg. Sogar eine kirchliche Einrichtung lehnte eine Kooperation ab, wohl aus Angst, es könnte zu Zwischenfällen kommen. Diese sind tatsächlich nicht gänzlich zu vermeiden, allerdings hätte sich das in den letzten zwei Jahren – seit der Kontakt zu den Klient*innen enger geworden ist – stark gebessert, meint Pock.

Eines würde sich Liliane Pock aber noch mehr wünschen als höhere Spendeneinnahmen und zusätzlichen Wohnraum: Neue ehrenamtliche Mitarbeiter*innen, die regelmäßig mit den Haftentlassenen Zeit verbringen, deren Freizeit mitgestalten oder einfach nur zuhören.

"Projekt des Monats" - Zahlen & Fakten

Verein für Integrationshilfe
  • 1970 vom Gefangenenseelsorger Anton Eder gegründet, Organisation der Erzdiözese Wien
  • Beratung und Wohnplätze für haftentlassene Frauen und Männer
  • Wohnheim in Wien-Mariahilf für bis zu 27 Personen
  • Finanzierung durch öffentliche Förderungen und Spenden:

Verein für Integrationshilfe (Spenden steuerlich absetzbar)
IBAN: AT52 1919 0000 0019 6378