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Ohne Geld und Obdach

In der heutigen Zeit ist Armut oft versteckt. Obdachlosigkeit macht sie sichtbar.
CC BY-SA 2.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/
Obdachloser in Wien. © Janos Korom Dr. from Wien, Austria - Wien
Die Tage werden kürzer und kälter. Die Temperaturen sinken, der Winter kommt. Obdachlosigkeit im Winter ist mitunter lebensgefährlich. Letzten Winter erfror ein Obdachloser in Wien Hütteldorf.

Obdachlosigkeit kann einem schneller widerfahren als man denkt: Probleme in der Beziehung, oftmals einhergehend mit übermäßigem Alkoholkonsum und/oder psychischen Problemen, Arbeitslosigkeit, Mietschulden, Zwangsräumung. Und man steht auf der Straße, schläft unter einer Brücke, trinkt noch übermäßiger Alkohol. Ein klassischer - aber sicher nicht der einzige - Weg zum in Österreich oft bezeichneten "Sandler".

Doch was bedeutet obdachlos eigentlich? In der Wissenschaft unterscheidet man durchaus zwischen Obdachlosen (=leben im Öffentlichen Raum oder nächtigen in Notschlafstellen, Wärmestuben und im Freien), Wohnungslosen (=leben in Einrichtungen, meist mit begrenzter Aufenthaltsdauer) und Ungesichertem Wohnen (=ist z.B. eine temporäre Unterkunft bei Bekannten und Freunden).

Aber alle Definitionen haben einen gemeinsamen Nenner: Armut.

Armut ist weiblich, Obdachlosigkeit männlich

In Österreich gilt man als armutsgefährdet, wenn einem weniger als 1.031 Euro im Monat zur Verfügung stehen - alleinlebend, bei Mehrpersonenhaushalten erhöht sich der Betrag um 516 Euro pro Erwachsenen, um 309 Euro pro Kind. Laut Statistik Austria waren im Jahr 2013 anderthalb Millionen Menschen in Österreich armutsgefährdet, über 18 % der Gesamtbevölkerung. Statistisch gesehen macht das Geschlecht kaum einen Unterschied, da die Berechnungsgrundlage das gemeinsame (und theoretisch gleich verteilte) Haushaltseinkommen ist.

In der öffentlichen Wahrnehmung sind Obdachlose männlich. Nicht zu Unrecht, denn geschätzte 90 % der Obdachlosen sind Männer. Nun daraus zu schließen, obdachlose Frauen gäbe es nicht oder kaum, ist falsch. Statt obdachlos zu werden, flüchten sich viele in fragwürdige Beziehungen voll physischer, psychischer und sexueller Gewalt. Beziehungen, in denen das Haushaltseinkommen - statistisch gesehen - gleich verteilt ist. Armut ist weiblich und verdeckt.

Obdachlose findet man meistens in den Landeshauptstädten, aus gutem Grund. Anonymität und Infrastruktur wie Notschlafplätze und Wärmestuben sind gegeben, Frequenz an öffentlichen Plätzen macht das Schnorren und Betteln einfacher.

Zudem hat es juristische Gründe. Die Sozialhilfegesetzgebung obliegt dem Bundesland. Geförderte Einrichtungen wie beispielsweise die Gruft, wohl die bekannteste Einrichtung für Obdachlose in Österreich, dürfen nur jene aufnehmen, die nach dem Wiener Sozialhilfegesetz bezugsberechtigt sind. Das sind österreichische Staatsbürger und ihnen gleichgestellte Personen, die ihren Hauptwohnsitz beziehungsweise tatsächlichen Aufenthalt in Wien haben. Ebenso ist es gekoppelt an erworbene sozialrechtliche Ansprüche, das heißt beispielsweise für EU-Bürger, dass sie 52 Wochen in den letzten zwei Jahren in Österreich gearbeitet haben, versichert und gemeldet gewesen sein mussten.

Diese Regelung führte nicht nur in Wien, sondern fast allen größeren Städten Österreichs, in den letzten Jahren zu massiven Problemen. Viele Einrichtungen, die ihre Nächtigungen über Einrichtungen wie den Fonds Soziales Wien verrechnen, können daher obdachlose EU-Bürger oder Ausländer nicht aufnehmen. Es gab und gibt schlichtweg kaum Einrichtungen für diese Personengruppe.

Projekte

Man muss nicht immer Geld spenden, um zu helfen. Manchmal reicht ein Anruf, in Zeiten der Handys nur einen Handgriff entfernt. Von November bis Ende April hat die Caritas Wien das Kältetelefon in Betrieb. Rufen Sie 01-480 45 53, wenn Sie das Schlaflager eines Obdachlosen entdecken. Sozialarbeiter der Gruft gehen Ihren Hinweisen nach, bieten individuelle Hilfe an. Natürlich ist das Kältetelefon auch per Email erreichbar.

Die Caritas Wien betreibt auch die wohl bekannteste Einrichtung für Obdachlose: Die Gruft. Seit 1986 wird hier obdachlosen Menschen geholfen, seit 1996 ist die Caritas Wien der Trägerverein. Dies ist aber nicht das einzige Projekt der Caritas für Obdachlose in Wien. Die Busse Canisi und Francesco bieten eine Art der mobilen Notversorgung, für Jugendliche gibt es eine eigene Notschlafstelle nahe dem Westbahnhof.

Eine der wenigen Anlaufstellen für obdachlose Ausländer ist beispielsweise die VinziRast-Notschlafstelle in Wien Meidling. Auch die Caritas reagierte auf diese offensichtliche Lücke im Sozialsystem und eröffnete 2010 eine Zweite Gruft für obdachlose (EU-)Ausländer in der Lacknergasse. Diese Einrichtung ist zu 100% spendenfinanziert. Man könnte auch sagen, muss zu 100% aus Spenden finanziert werden.

Den Focus auf obdachlose Flüchtlinge richtet das Wohnprojekt von Ute Bock. Obdachlosen Roma-Frauen hilft das Projekt VinziSchutz der VinziWerke in Graz. Ebenfalls in Graz betreibt die Caritas das Ressidorf.

Ein ganz besonders bemerkenswertes Projekt betreibt die Volkshilfe Wien unter dem Titel "A G'spia fürs Tier". In dessen Rahmen betreut eine mobile Einsatzgruppe Haustierhalter in den Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe.

Sämtliche Projekte zu den Themenbereichen Obdachlosigkeit in Österreich finden Sie hier. Auf der Karte sind die vorgestellten Projektorte eingezeichnet.