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"Lärmspende" für das Innenministerium

Warum diese Aufregung um eine Sonderrichtlinie für staatliche Fördergelder, die von den betroffenen Hilfsorganisationen sogar unterschrieben wurde? Mit Töpfen und Sirenen gewappnet haben am Mittwoch rund 200 Personen lautstark protestiert.
Erst zu Beginn dieser Woche ist öffentlich bekannt geworden, dass Hilfsorganisationen, die sich seit Sommer 2015 um die Versorgung von "Transitflüchtlingen" gekümmert hatten, vom Staat nur jene ehrenamtliche Leistungen bezahlt bekommen, die nicht durch private Spenden gedeckt werden können. Grund dafür ist eine spezielle Richtlinie mit dem Namen "Sonderrichtlinie des Bundesministeriums für Inneres zur Abwicklung der Förderungen im Zusammenhang mit Hilfsmaßnahmen für Transitflüchtlinge". Zwölf NGOs und karitative Initiativen unterschrieben im Oktober diese Sonderrichtlinie, um rasch staatliche Förderzahlungen für ihre Hilfsleistungen zu erhalten.

Lautstark gegen die Kürzung von Förderzahlungen

Einige Menschen protestierten gestern (23.03.2016) gegen dieses Vorgehen, allerdings trafen sie sich am Wiener Minoritenplatz vor dem Innen- und nicht vor dem Finanzministerium. Denn das Schreiben, das die betroffenen Hilfsorganisationen schon Anfang Februar erhalten hatten und das nach der Offenlegung der jeweiligen Spendeneinnahmen verlangte, trug den Briefkopf des Innenressorts. Idee der gestrigen Protestaktion war es, das Ministerium mit einer "Lärmspende" zu beglücken – an Stelle der monetären Spenden, die den betroffenen NGOs und Initiativen nun gegengerechnet werden sollen. Also schlugen die Protestierenden gegen Töpfe, schrien in Megaphone oder spielten stümperhaft ihre mitgebrachten Musikinstrumente. Der Geräuschpegel war tatsächlich ohrenbetäubend hoch.
In der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung Falter bezieht der Geschäftsführer des Roten Kreuzes, Gerry Foitik, zu dieser Verordnung Stellung: Er könne nachvollziehen, weshalb der Bund die Kosten für die Versorgung von Transitflüchtlingen gegenrechnen würde. Doch das Schreiben des Innenministeriums verlange außerdem, im Gegenzug für die Genehmigung künftiger Förderanträge Auskunft über erhaltene Geldspenden für Flüchtlingshilfe zu bekommen. Es sei aber nicht Aufgabe der privaten SpenderInnen, Hilfsleistungen des Bundes zu finanzieren, so Foitik. Die Grenzen zwischen staatlichen Pflichten und zivilgesellschaftlichem Engagement würden hier verschwimmen.
Mit einem Topf gewappnet ist Joana H. am Mittwochabend auf den Minoritenplatz gekommen, um lautstark zu protestieren.  © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann
Mit einem Topf gewappnet ist Joana H. am Mittwochabend auf den Minoritenplatz gekommen, um lautstark zu protestieren. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann

Menschliche Hilfe ohne Organisationen nicht möglich

Unter den Protestierenden vor dem Innenministerium waren einige freiwillige HelferInnen, die im vergangenen Sommer und Herbst an Österreichs Bahnhöfen und Grenzen ankommende wie weiterreisende Transitflüchtlinge versorgt hatten. Joana H. ist eine von ihnen, für die Studentin ist die derzeitige Asylpolitik nicht mehr tragbar:

"Es ist eine traurige Frechheit, diese Gelder einzufordern. Die Regierung kann froh sein, dass so viele Privatpersonen gespendet und geholfen haben! Ohne diese und den Hilfsorganisationen, die bis an ihre persönlichen Grenzen gegangen sind, hätte die Situation nicht in der erforderlichen Menschlichkeit gemeistert werden können. Politiker und Politikerinnen müssen angemessene Rahmenbedingungen schaffen und das wenigste ist ein Dank an die Hilfsorganisationen. Es war mir wichtig, ein lautes Zeichen gegen diese Art von Politik zu setzen!"
Joana H. protestierte vor dem Innenministerium

"Eine empathielose Asylpolitik für empathiebefreite Menschen"

Erich Fenninger, der Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich, ist dieser Tage ein viel beschäftigter Mann. Erst am Samstag sprach er vor tausenden Menschen bei einer internationalen Pro-Asyl-Demo in Wien. Tags darauf flog er bereits zurück nach Idomeni, um bei der Versorgung der gestrandeten Flüchtlinge zu helfen. Für den ORF berichtete er am Montag live von der griechisch-mazedonischen Grenze, die vorerst zu einer Sackgasse für die Geflüchteten geworden ist. Gestern war Fenninger wieder in Wien, um vor dem Innenministerium über die neuesten Entwicklungen im österreichischen Spendenwesen und die "empathielose Asylpolitik" zu sprechen.
Erich Fenninger ist gerade erst aus Idomeni zurückgekehrt. Er macht vor allem die Politik der Innenministerin für die dortigen negativen Entwicklungen verantwortlich. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann
Erich Fenninger ist gerade erst aus Idomeni zurückgekehrt. Er macht vor allem die Politik der Innenministerin für die dortigen negativen Entwicklungen verantwortlich. © spendeninfo.at / Hannah Hauptmann
Von Anfang an hätten heimische Politiker die Aufnahme Geflohener behindert und die Zeit erfolgreich genutzt, um der Bevölkerung einzureden, dass Land und Leute den Flüchtlingszustrom nicht vertragen würden: "Es ist wirklich beschämend, dass sie eine empathielose Asylpolitik für empathiebefreite Menschen machen und dagegen wehren wir uns gemeinsam. Es geht um Willkommenskultur und es geht um Schutzkultur: Schutz für die Menschen, die sonst getötet werden in ihren Heimatländern.", so Fenninger am frühen Mittwochabend. Der Abriegelung Europas liege auch keine gesamteuropäische Entscheidung zugrunde, sie ließe sich auf die österreichische Bundespolitik zurückführen. Schließlich richtete Fenninger einen Appell an alle karitative Hilfsorganisationen:

"Wir sozialen Organisationen werden natürlich in vielen Bereichen der sozialen Versorgung erpresst und bekommen nicht die Bedeckung. Aber es ist auch wichtig, dass wir (...) Verträge in Zukunft nicht mehr unterschreiben, die eigentlich unverantwortlich sind und dass wir das gemeinsam im Verbund verhandeln müssen. (…) Wir müssen stärker auftreten und mutiger werden, zivilcouragiert auftreten und diese Obrigkeit in dieser Form nicht anerkennen, wenn sie uns zwingt, Mittel, die freiwillige Menschen eingebracht haben, gegen die Aufgabe des Staates Rechnung zu tragen."
Erich Fenninger, Geschäftsführer der Volkshilfe Österreich

Etablierte Organisationen ziehen sich aus griechischen Flüchtlingscamps zurück

Weiters lobte Fenninger den Einsatz zahlreicher Österreicher*innen und weiterer Freiwilliger, die in Idomeni und anderen Camps vor Ort sind, um zu helfen. Dort spitzt sich die Lage weiter zu, immer mehr Flüchtlinge schließen sich einem Hungerstreik oder anderen Protestmaßnahmen an. Am Dienstag gaben Ärzte ohne Grenzen und die UNHCR bekannt, sich aus den griechischen "Hotspots" zurückzuziehen, die aufgrund des eben beschlossenen EU-Türkei-Abkommens zu Hafteinrichtungen geworden seien, da die Flüchtlinge gegen ihren Willen festgehalten werden. Ihre Rückführung in die Türkei wollen die Organisationen in dieser Form nicht unterstützen.
Unter welchen Bedingungen es künftig zu Förderzahlungs-Abkommen zwischen Bund und hilfeleistenden NGOs kommen wird, bleibt abzuwarten. Mit Ende März laufen die bestehenden Verträge jedenfalls aus. Die dadurch entstandene Unsicherheit könnte auch der Grund sein, weshalb die Sonderrichtlinie erst jetzt zum Thema wurde. Zudem wurden zahlreichen Hilfsorganisationen seit Jänner keine staatlichen Fördergelder mehr überwiesen. Erich Fenninger erklärte bei der gestrigen Protestaktion, dass die Volkshilfe das erhaltene Schreiben nicht unterzeichnet wird.