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Fehlende Schlagzeilen

Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist auf Rekordniveau. Doch einige Konflikte und Katastrophen sind Großteils unbekannt, da ihnen kaum mediale Aufmerksamkeit zukommt.
Kind streckt Hand entgegen
Allein in Angola sind über 14.000 Kinder unterernährt. Berichte darüber gibt es kaum. © Atlas Green / Unsplash
In Angola herrscht die schlimmste Dürre seit 40 Jahren, 3,8 Millionen Menschen fehlt es an ausreichend Nahrungsmitteln und 114.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut mangelernährt. Malawi kämpft mit einem der schlimmsten Cholera-Ausbrüche und auch die Krankheiten Polio, Malaria und Tuberkulose bringen das Gesundheitssystem an die Grenzen. In der Zentralafrikanischen Republik wütet seit 2013 ein gewaltsamer Konflikt, Früh- und Zwangsehen sind weit verbreitet und über 70 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Viele Menschen hören von diesen Situationen wohl das erste Mal. Und die Liste der unbekannten Krisen könnte noch lange fortgeführt werden. Im letzten Jahr haben die drei afrikanischen Länder laut dem neuen CARE-Report "Breaking the silence" am wenigsten mediale Aufmerksamkeit bekommen. Und Medienberichterstattung ist ein wichtiger Faktor, wenn es darum geht Spenden zu generieren.
Wir sehen es als unseren Auftrag, die 'stillen' Krisen zu zeigen, auch wenn es in der Berichterstattung und
der Weltlage insgesamt nicht an Not mangelt. - Andrea Barschdorf-Hager, Geschäftsführerin CARE Österreich

Realitätsflucht vor Überforderung

Jeden Tag erreichen uns über etwa Radio, Fernsehen oder Soziale Medien Nachrichten von Krisen und Katastrophen. Allein die Corona-Pandemie oder der Russland-Ukraine Krieg nehmen seit deren Beginn in der österreichischen Medienlandschaft täglich einen Platz ein. Insgesamt sind die Kapazitäten für einen Sendeplatz, die Artikelanzahl und die Nachrichtenbeiträge jedoch sehr begrenzt. Redaktionen müssen daher genau entscheiden, welchen Vorkommnissen Vorrang gegeben wird, welche Ereignisse für Rezipient*innen relevant und interessant sind. Eine schwere Aufgabe, wenn laut CARE allein letztes Jahr 47 Krisen verzeichnet wurden, die je über eine Millionen Menschen betroffen haben. Aktualität und Nähe spielen dann eine entscheidende Rolle bei der finalen Entscheidung. Krisen, wie etwa in Afghanistan oder Syrien, erhalten dadurch etwa geringere mediale Aufmerksamkeit, da sie schon eine sehr lange Zeit andauern. Auch das redaktionelle Budget reicht nicht aus, um über alle Konflikte und Katastrophen berichten zu können. Reisen in die betroffenen Gebiete sind nicht mehr finanzierbar, das Budget stark limitiert. Eine Selektion muss stattfinden und das obwohl es natürlich genauso wichtig wäre über längere oder entferntere Krisen zu informieren.

Bei der Summe an multiplen Krisen weltweit ist es demnach verständlich, dass wir nicht über alles informiert sein können oder Bescheid wissen. Und auch die eigene Betroffenheit von zum Beispiel der Corona-Pandemie oder der Energiekrise ist für viele schon Sorge genug, weitere schlechte Nachrichten werden oft vermieden und der Medienkonsum bewusst reduziert, um nicht überfordert zu sein. "Wenn die Zeiten härter werden, dann wird Realitätsflucht zur attraktiven Option. Die Folge: Eine Art neuer Eskapismus, ein Neo-Biedermeier als Rückzug in die private Idylle und die heile Welt selbst gestalteter Erlebnisräume", hält Thomas Seifert, stellvertretender Chefredakteur der Wiener Zeitung, in der Untersuchung von CARE fest.

Zehn afrikanische Länder führen die Liste an

Laut dem im Dezember 2022 veröffentlichten Bericht der OCHA, also dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, ist der Bedarf an humanitärer Hilfe auf einem Rekordniveau. Insgesamt 339 Millionen Menschen sind auf lebensrettende Unterstützung angewiesen. Angefangen bei Nahrungsmittelsicherung, über Wasser- und medizinische Grundversorgung bis zur Sicherstellung einer Unterkunft und Hygieneartikeln - über 65 Millionen Personen mehr als im Jahr davor können diesen Bedarf nicht selbst decken. Auch in den "Top 10" der krisengebeutelten Nationen mit geringster medialer Aufmerksamkeit sind Millionen von Einwohner*innen auf Hilfe angewiesen. In dem Ausrechnungszeitraum von Jänner bis Oktober 2022 wurden insgesamt 5,8 Millionen Beiträge in den Sprachen Arabisch, Englisch, Französisch, Deutsch und Spanisch von dem Medienbeobachtungsdienst "Meltwater" analysiert. Über jene zehn Länder mit geringen Medienbeiträgen informiert der Report geauer.

In dem aktuellen Bericht, und somit dem siebten in Folge, besetzen zum ersten Mal nur afrikanische Länder die ersten zehn Plätze des Rankings (siehe Karte). Die Zentralafrikanische Republik, so CARE, war bis jetzt in jedem Jahr vertreten. Diese Länder sind zusätzlich zu der weltweiten COVID-19 -Krise besonders stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen und kämpfen immer wieder mit Naturkatastrophen und auch gewalttätigen Auseinandersetzungen. "Die Länder des Globalen Südens tragen die Hauptlast unseres Handelns, da sie unverhältnismäßig stark von den negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind, während sie am wenigsten dazu beigetragen haben. Wir haben daher die Verantwortung, diese 'vergessenen Krisen' ins Rampenlicht zu rücken", betont Mónica Silvana González, Berichterstatterin für Humanitäre Hilfe des Europäischen Parlaments, dazu.


Im Augenschein dieser Auswertungen und Erkenntnisse erscheint der jährliche CARE-Report umso wichtiger. "Vergessene" Krisen erhalten so wieder Aufmerksamkeit, werden in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und somit auch der Geldgeber*innen geholt. Und auch die Diskussion, wie das Problem der selektiven Berichterstattung verbessert und gehandhabt werden kann, wird damit angestoßen.

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